In meiner Bibliothek gestöbert
Hier stelle ich jeden Monat Bücher aus meiner Bibliothek vor, die mir aus diesem oder jenem Grund wichtig sind. Im Juli 2025 geht es um zwei Bücher von Wolf von Niebelschütz:
Ich finde es seltsam, wenn man als Autor, der aus seinem Buch liest, als Honorar ausgerechnet einen Büchergutschein bekommt. Mein Gutschein lag dann auch lange Zeit unbeachtet, bis ich auf die Ankündigung eines Sammelbandes mit Aufsätzen, Vorträgen, Gedichten und Gedichtübertragungen von Wolf von Niebelschütz (1913-1960) stieß – und zwar in der wundervoll gestalteten „Anderen Bibliothek“ (jetzt unter dem Dach des Berliner Aufbau-Verlags). Mein Gutschein kam also zum Einsatz für „Ein Geisterfrühstück“.
Schönes Buch, klar, aber inhaltlich fand ich dann nichts wirklich Inspirierendes, eher war ich enttäuscht von der Biederkeit in einigen von Niebelschütz‘ poetologischen Ansichten. Nun, der Meister, früh verstorben, ist auch schon lange tot, seine Zeit war eine andere, natürlich. Und doch: Eine große Anregung brachte das „Geisterfrühstück“, nämlich Niebelschütz‘ dicken Roman „Der Blaue Kammerherr“ abermals zu lesen. Ich tat es wohl zum dritten oder vierten Mal.
Der Roman spielt in der Zeit des Barock auf einer Insel in der Ägäis und nimmt eine Idee auf, die ursprünglich von Hugo von Hofmannsthal stammte für eine Oper von Richard Strauss: Die Geschichte von Zeus und Danae, welcher der Gott sich unsittlich als Goldener Regen näherte, wird neu erzählt. Aber was ist damit schon gesagt? Vielmehr vernichtet die Inhaltsangabe geradezu den Zauber des Romans.
Und dieser Zauber kommt daher, dass der Roman wie ein großes Barockgemälde wirkt. Kommt aus einem überwältigenden Ausmaß an Phantasie und einer Sprachgewalt, die unter anderem von lateinischen, französischen, italienischen Einsprengseln lebt, von wirklichen oder nur ausgedachten Barockisierungen, aber auch von der Sprache der Gosse, ja sogar der Lautmalerei. Einmal fällt dem Regierungschef die Brille herunter und er sagt nur: „Plumps.“
Wer sich auf all das einlässt und vielleicht auch über ein wenig klassische Bildung verfügt, wird überreich beschenkt. Wer nicht, wird den Roman – ich fand ein solches Urteil zufällig in einem Aufsatz über „Simulation älterer Sprachstufen in historischen Romanen des 20. Jahrhunderts“ – unlesbar finden.
Für mich ist er jedenfalls der schönste Roman, der je in deutscher Sprache geschrieben wurde, voll herrlicher Wendungen. Etwa wenn eine Geliebte als „strapaziös sinnlich“ bezeichnet wird, ein Staatssekretär die „furchtbares Beharrlichkeit der Beamten“ zeigt, ein König um die Notwendigkeit weiß , „diesen oder jenen ungezogenen Weltverbesserer zu nobilieren“, der Henker „wobei ihm vor Eifer die Zunge austrat, soeben, genießerisch von unten nach oben, die Hals-Schlagader“ öffnete und ein Minister sagt: „Den maitre de plaisir, Majestät, spielt man zwei Tage höchstens, am dritten schämt man sich.“
Mein Lieblingssatz? Es gibt zu viele. Besonders schön finde ich jedoch jene Szene, in der sich Danae, nur sehr spärlich bekleidet, gegen unberufene Blicke in einen Vorhang wickelt: „Aber die Draperie, Strapazen nicht schätzend, beantwortete das Manoeuvre mit unsympathisch morschem Ruck und löste sich von der Befestigung.“ Da sage noch einer was gegen Adjektive! Sie würzen die Sprache, freilich nur, wenn man ihre Würze beherrscht.
Niebelschütz gab dem Roman übrigens eine originelle Widmung: „Den Humorlosen beider Hemisphaeren“.