In meiner Bibliothek gestöbert
Hier stelle ich jeden Monat ein Buch aus meiner Bibliothek vor, das mir aus diesem oder jenem Grund wichtig ist. Für Mai 2025 geht es um Christoph Heins Roman „Das Narrenschiff“:
Nur noch selten betrete ich gezielt eine Buchhandlung, um mir ein bestimmtes jüngst erschienenes Buch zu kaufen. Als ich die Ankündigungen zu Christoph Heins Roman „Das Narrenschiff“ las, war es wieder soweit. Hein war in der DDR-Zeit für viele, auch für mich, ein wichtiger Autor. Er blieb es offenbar auch nach dem DDR-Ende, wenngleich ich das nur noch am Rande wahrnahm. Er ist inzwischen achtzig Jahre alt, und ich vermute, das „Narrenschiff“ mit seinen fast achthundert Seiten stellt eine Art Vermächtnis dar.
Was mich sofort für den Roman einnahm: Hier wird in großer Ausführlichkeit die Geschichte der DDR erzählt. Sie wird dabei nicht veralbert (wie das gerade wieder bei Heins Sohn Jakob in der Haschisch-Story „Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste“ zu finden ist), sie wird auch nicht dämonisiert oder nur aus einem bestimmten Blickwinkel heraus betrachtet (wie etwa bei Uwe Tellkamps „Der Turm“). Hein will erzählen, wie es für eine Mehrheit war, und zwar aus der Sicht weniger Figuren – Funktionäre, Wissenschaftler, Künstler, Schüler –, wobei die Eltern-Generation und folgerichtig die Kinder-Generation etwas älter sind als meine Eltern beziehungsweise ich. Dennoch sind die Erfahrungen ähnlich. Das ist ja überhaupt die DDR: Alle machten die gleichen Erfahrungen.
Bei der Betrachtung von Geschichte wird immer unterschätzt, wie aus dem unpolitischen Bedürfnis, seine Ruhe haben zu wollen, im Falle DDR durchaus stahlharte Funktionäre werden konnten oder staatstragende Leute, die alles mit sich machen ließen, wenn ihr Leben nur einigermaßen abgesichert blieb. Der Vorwurf von Opportunismus zieht da nicht, zumal niemand sich etwas anders vorstellen konnte, als er täglich erlebte. Schon gar nicht das Ende eines solchen Welt, die festgefügt schien, trotz aller Krisen.
Auch eine andere meiner Erfahrungen spielt in dem Roman eine Rolle. Wer eigene Ansprüche und Ziele hatte, wer sich etwas vornahm und sein Leben nutzen wollte, der scheiterte. Hier wurde gemacht, was die Partei sagte, und wenn sie heute das Gegenteil sagte von dem gestern Gesagten, dann wurde das auch gemacht. Selbst hohe Funktionäre bis in das Zentralkomitee der SED hinein haben darunter gelitten. Sie wussten wie alle anderen auch, dass sie eigentlich auf einem Narrenschiff dahinfuhren durchs Ungewisse. Sie waren wie alle anderen froh, als das Schiff endlich unterging. Insofern trägt der Roman auch einen brillanten Titel.
Hein spricht in dem Buch eine erstaunlich anspruchslose Sprache, versetzt mit Funktionärsdeutsch und dem Deutsch offizieller Verlautbarungen. Bevor ich deswegen ärgerlich werden konnte (immerhin ein Suhrkamp-Buch), ging es mir bei der Lektüre wie dem Soziologen Stefan Mau: „Man will immer weiterlesen.“
Allerdings frage ich mich, ob auch Westdeutsche dieses Buch fesselnd finden, wenn sie in diese für sie völlig fremde Welt eintauchen. Versucht es überhaupt jemand? Immerhin: Spiegel-Bestseller.
Mein Lieblingszitat steht auf Seite 613, wo ein Abteilungsleiter zu einem eben in die Rente verabschiedeten Haupthelden sagt: „Nein, Doktor Goretzka, es war damals nicht gut oder besser, es ist bloß lange her… Und das Beste war das, was es überhaupt nie gegeben hat.“