In meiner Bibliothek gestöbert

 

Hier stelle ich jeden Monat Bücher aus meiner Bibliothek vor, die mir aus diesem oder jenem Grund wichtig sind. Im Oktober 2025 geht es um Otto Flakes Roman „Schloss Ortenau“:


Vor ein paar Wochen hatte ich im brandenburgischen Rathenow zu tun und übernachtete im „Fürstenhof“. Das ist schon deshalb eine empfehlenswerte Adresse, weil es dort einen großen Bücherschrank gibt, aus dem man sich bedienen darf. Auch in den Fluren überall liegen gebrauchte Bücher. Dort fand ich Otto Flakes Roman „Schloss Ortenau“.

Von Flake (1880-1963) kannte ich bis dahin nur den Roman „Scherzo“, auch mal in einem offenen Bücherschrank gefunden, 1936 erstmals erschienen. Sonderlich beeindruckt hat mich „Scherzo“ nicht, es geht darin um das von älteren Männern in der Literatur und wohl auch im Leben so beliebte Motiv: alternder Mann mit deutlich jüngerer Frau. Und darum geht es auch in „Schloss Ortenau“, 1955 erschienen. Es muss Flake mächtig umgetrieben haben, er selbst war fünfmal verheiratet, davon zweimal mit derselben Frau.

In „Scherzo“ komplizieren die beiden Hauptfiguren ihre Beziehung derart, dass man als Leser ganz nervös wird, und es geht dann auch schief, ohne eigentlichen Grund. In „Schloss Ortenau“ bekommt der sechzig Jahre alte Erzähler zwar die dreißig Jahre alte Sabine gegen alle Erwartung, sogar richtig mit Heirat. Sabine stirbt aber bei einem Verkehrsunfall, und schon geraten andere junge Frauen in den Sichtbereich des Witwers. Leider erzählt er uns nicht, was er eigentlich will, dazu präsentiert er sich doch zu sehr als feinsinniger Professor.

Das alles wird behäbig erzählt, oft in hölzernen Dialogen, vermischt mit politisch-philosophischen Betrachtungen, die einem Heutigen die Haare zu Berge stehen lassen würden, wenn er nicht mit Gähnen beschäftigt wäre. Bei allem kritischen Blick habe ich den Roman dennoch gern gelesen – aus zwei Gründen.

Zum einen erfährt der Leser viel über die unmittelbare Nachkriegszeit in einem der schönsten und vom Krieg vergleichsweise wenig betroffenen Landstriche Deutschlands, dem westlichen Rand vom Schwarzwald rund um Baden-Baden, immer mit Blick auch auf das Straßburger Münster. Wie werden da die vergleichsweise geringen Entbehrungen beklagt, wie werden die westlichen Besatzungsmächte gescholten, die immerhin die Freiheit brachten, und wie wird da verachtend vor allem über jene gesprochen, die wirklich Schlimmes durchgemacht hatten und für die offenbar nicht einmal die Kirchen, wenigstens nicht die katholische, Solidarität fanden: die Flüchtlinge aus dem Osten. Eine solche hochmütige Haltung hätte ich nicht für möglich gehalten. Aber sie war wohl verbreitet.

Zum anderen lässt Flake seiner Liebe zu Baden freien Lauf, seitenweise liest sich das Buch wie ein Reiseführer. Und es beschwört die gute alte Zeit, und das in der Zeit des Wirtschaftswunders, als es den Menschen im Westen immer besser ging und ihnen dabei die Ostzone, dann DDR gleichsam aus den Augen und aus dem Sinn kam. So also war das.

Amüsiert hat mich der Text immer da, wo es mal wieder herrlich verklemmt um junge Frauen geht: „Ich hörte ihr mit Vergnügen zu, und auch die Augen wurden angenehm berührt, durch die weiblichen Bewegungen. Die lichte Haut war schuld, dass man indiskret an das Weiß der verhüllten Büste dachte. Wenn ich statt Büste Schultern sagte, klang es besser.“